Unterschätzte Gefahr

RS

28. November 2022
28. November 2022 / RS

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Wie große nasse Wattekugeln trommelten Schneeflocken gegen die Windschutzscheibe.  Der Schnee war nass und die Scheibenwischer begannen unter der weißen Last zu stotterten. Die Fahrbahnmarkierungen tauchten ab unter einer dichten Schneehaube. Simone fuhr viel zu schnell. Ihr Herz raste. Jede Sekunde zählte. Endlich die Ausfahrt der Autobahn. Der Blinker gab den Takt. Rechts, rechts, geradeaus, links. Beim Einparken schleuderte der Pkw, rutschte quer über den Parkplatz. Es krachte mächtig, als der Pkw mit dem  rechten hinteren Kotflügel an einem Findling neben dem Haupteingang ihrer Firma zum stehen kam. Beim Abhören ihrer Mailbox, hatte sie die gehörten Schimpfworte und Geräusche richtig eingeordnet. Der Mann, dessen Stimme sie hörte,  war dabei in ihr Büro einzubrechen.

Beim Aussteigen sah sie, dass die breite Doppelglastüre offen stand. Ein dunkles Loch gähnte Simone wie ein schwarzer Schlund entgegen, so als wolle er jeden der über den flachen Treppenabsatz kam, im dunklen Nichts verschlucken. Simone stolperte auf der eisglatten Stufe. Ihre Hand fing sich am Türknauf. Sie vernahm ein leises Bing. Dann sprang die Reihenschaltung der Treppenhausbeleuchtung an. Auch die Türe zum Bürotrakt im ersten Stock stand aufgebrochen. Der Zylinder des Türschlosses hing aus der Fassung. Sie riss die Türe auf. Ihre Augen trafen auf ein Bild der Verwüstung. Papiere, Aktenordner, Ablagekästen, Stifte lagen auf dem Fußboden verstreut. Alle Schreibtischschubladen waren herausgezogen und durchwühlt.

Zum ersten mal sichtbar geworden

Erneut hatte der Mann, der ihr seit Monaten nachstellte, zugeschlagen. Doch diesmal hatte er eine Grenze überschritten. Mit dem Einbruch war er erstmals sichtbar geworden. Bisher konnte sie seine Nachstellungen nicht beweisen. Wie aus dem Nichts war er stets aufgetaucht und wieder verschwunden. Lief ihr hinterher, immer Distanz haltend. Beobachtete sie mit dem Fernglas. Nächtliche Anrufe, tote Vögel vor der Türe, ihre Unterwäsche von der Wäscheleine gestohlen, dann wieder Blumen, alles anonym. Nun hatte sie seine Stimme samt Einbruchsgeräuschen auf der Mailbox. Seine krankhafte Eifersucht machte vor nichts mehr halt. Simone ahnte wonach er suchte.Sie zitterte am ganzen Körper. Die Schlüssel für die Archivräume im oberen Stockwerk trug sie bei sich. Bis nach oben war er nicht vorgedrungen. Er wusste nichts von diesen Räumen, woher auch. Die Zimmer im Dachgeschoss hatte sie erst nach ihrer Trennung angemietet. 


Auf dem Weg ins obere Stockwerk nahm sie zwei Stufen auf einmal. Die schwere Stahltüre klemmte beim zuziehen. Mit aller Kraft drückte sie Türe ins Schloss, drehte den Schlüssel quer, klemmte einen Stuhl unter den Knauf. Dann schob sie Aktenschränke davor. Nur kein Licht. Sie lauschte in die Dunkelheit. Der Raum vor ihr lag still. Lichtschein der Straßenlaterne fiel durchs Fenster. Hier war sie in Sicherheit, vorerst. Mit dem Handy verständigte sie die Polizei.

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