Liebesmüh für Mutige

RS

17. Februar 2023
17. Februar 2023 / RS

17. Februar 2023 / RS

Ping, holte ein Signalton Johanna aus dem Schlaf. Zwei Uhr morgens und „Messsage von Chris“, las sie beim Blick auf das Display ihres Handys. Endlich, Nachricht von Chris. Immer wieder hatte sie ihr Postfach auf neue Mitteilungen geprüft. Chris überraschte sie gerne und oft mit Liebesbotschaften, Herzchen, Smileys, Links zu seinem Lieblingssong- und Filmen. Er wurde nicht müde ihr zu schmeicheln, meist mehrmals täglich. Innere Unruhe überkam Johanna stets, blieben seine Botschaften länger als vierundzwanzig Stunden aus. So auch gestern. Doch am Ende eines langen Tages hatte sie die Müdigkeit übermannt und sie war über Kassenbelegen, Rechnungen und Kontoauszügen eingeschlafen. Nun war sie hellwach. Beim Lesen seiner Nachricht schlug ihr Herz vor Freude Purzelbäume. Chris Worte krochen ihr buchstäblich unter die Haut.

Amors Pfeil traf beim Surfen

Beim Surfen via Facebook traf Amors Pfeil. Und nun würde Chris für immer zu ihr kommen, für immer bei ihr bleiben. „See you soon, missing you so, love Chris,“ summte Johanna immer und immer wieder, als sie die Treppe nach oben ging. Den stickigen Mief des Gastraums für den Rest der Nacht hinter sich lies. Lange war es her, als Johanna in die Fußstapfen ihrer Eltern trat, das elterliche Wirtshaus übernahm, so wie diese einst wiederum von ihren Eltern. Johanna hatte aufgehört die Jahre zu zählen. Sie investierte all ihre Ersparnisse, Kraft und Herzblut in die Zukunft der Dorfschänke, gelegen in einem kleinen Ort, in Mitten der Heide. Ihr Ehemann war längst auf und davon. Er hatte die Tristesse des Dorflebens nicht mehr ausgehalten. Johanna schien es, als habe er Fröhlichkeit. Lachen und Gesang, die allabendlich das Wirtshaus erfüllten, mit sich fort genommen. Gäste kamen immer seltener. Am großen runden Tisch, neben dem Kachelofen, wurde für Johanna das Klappern der Computer-Tastatur zum vertrauten Begleiter. Bald würde sie die Tür der Dorfschänke für immer abschließen.

Mehr und mehr auf Wolke Sieben

Nur noch eine kurze Zeitspanne durchhalten. So lange bis Chris eintraf. Bereits wenige Wochen nach dem ersten online-Dating schmiedeten sie gemeinsame Zukunftspläne. Das alte Gemäuer wollten sie renovieren. In Gedanken nahe bei Chris, der als Leitender Inspektor für die Vereinten Nationen arbeitete, schwebte Johanna mehr und mehr auf Wolke Sieben. Nicht nur, dass Chris im Job erfolgreich war und gutes Geld verdiente, daneben hatte er von den Großeltern ein kleines Vermögen geerbt, lies er sie wissen. Garant für eine sorgenfreie, gemeinsame Zukunft. Als Startkapital wollte Chris in Kürze eine größere Summe auf Johannas Konto transferieren. Die Höhe der Summe hatte er ihr noch nicht geschrieben, jedoch eine Kopie seines Personalausweises sowie seine aktuelle Adresse in den Anhang gelegt. In dieser Nacht fand Johanna keinen Weg zurück in den Schlaf. Immer wieder blätterte sie in seinen E-Mails, hörte seine Lieblingssongs. Sie war bezaubert von der Zärtlichkeit und Vertrautheit, mit der Chris all ihren Sorgen und Problemen begegnete.

Geldtransfer wurde angekündigt

Johanna sortierte den Kleiderschrank. Schuf Ordnung, räumte Regale frei damit Chris sich einrichten konnte. Ping, der vertraute Signalton. Sie öffnete das Postfach. Absender war eine namhafte Bank in London. Das Institut offerierte Chris Geldtransfer. In der Anlage eine Latte von Dokumenten, in denen Johanna sich als Empfangsberechtigte eines sechsstelligen Betrages ausweisen sollte. Die Formulare waren von ihr persönlich auszufüllen und mit der Kopie ihres Ausweises zurückzusenden. Immer und immer las sie die Nachricht, als ihr Handy klingelte. „Darling, wie geht es Dir? Hat sich der Kurier der Bank bei Dir gemeldet?“, hatte Johanna Mühe Chris Worte zu verstehen. Kratzen und Rauschen in der Leitung. „Bin auf dem Wege zu dir, schreibe dir wann ich ankomme, ich liebe Dich …“, fuhr Chris fort, dann brach die Verbindung ab. Wenig später surrte der Drucker. Sorgfältig füllte Johanna die Dokumente aus, legte diese unterschrieben in den Scanner, ein paar Klicks, Antwort bestätigen. Sie spürte wie ihre Hände zitterten, als sie zum wiederholten male die versandte Antwortmail prüfte. Doch alle ihre Angaben waren korrekt. Bald würde sie Chris fest in seinen Armen halten.

Nur noch eine kurze Zeitspanne durchhalten. So lange bis Chris eintraf. Bereits wenige Wochen nach dem ersten online-Dating schmiedeten sie gemeinsame Zukunftspläne.

Fällige Steuern in fünfstelliger Höhe

Am nächsten Morgen lag eine weitere Nachricht der Bank in Johannas Postfach. Es war eine Bestätigung, dass der Überweisungsprozess im Gange war. Es würden jedoch Steuergebühren mit sofortiger Zahlung fällig. Johanna stockte der Atem, als sie den fälligen Betrag in fünfstelliger Höhe las. Es musste sich um einen Buchungsfehler handeln, schoss es Johanna durch den Kopf. Im selben Augenblick, erneut das all zu vertraute Ping, Nachricht von Chris: „Wurde auf dem Wege zu dir gestoppt. Wurde aufgefordert bei einem Notfall zu helfen. Zwischenstopp auf der Baustelle. Es gab einen schweren Unfall auf einem Offshore-Standort und nur ich kenne mich dort aus. Die Bank hat sich gemeldet wegen anfallender Steuern. Ich kann hier nicht weg um das zu erledigen. Es gibt hier in der Nähe keine Bank oder Western Union. Bitte, bitte regele das für uns, da die Steuern innerhalb von achtundvierzig Stunden zur Zahlung fällig sind … Küsse, Liebesschwüre!“.

Endlos-Warteschleife

Johanna saß wie gelähmt vor dem Computer. Eine Flut von Gedanken, Buchstaben und Zahlen schwirrten vor ihren Augen, drehten sich im Kreise. Sie musste Chris helfen, es ging um ihre gemeinsame Zukunft. Einen Moment lang zögerte Johanna noch, dann wies sie die zu zahlenden Steuern, per online-banking, an. Stunden des Wartens begannen für Johanna. Sie fühlte sich wie in einer Endlos-Warteschleife. Sie erschrak, als das Telefon klingelte. Chris, endlich. Wieder rauschte es in der Leitung. Seine Stimme war nur wage zu verstehen: „Der Notfall ist morgen behoben, dann komme ich zu Dir. Hast du die Steuern bezahlt, my Love?“. Johann fühlte wie sich tonnenschwere Lasten von ihren Schultern lösten. Bald würde sie Chris in seine Arme schließen und nie wieder loslassen. 
Eine Woche später erstattete Johanna Anzeige bei der Polizei.

Autobiografisch nach Margarete S. 

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